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wilhelmshorst.jpg

Jahr: 1934-1949
Bemerkung:
ArtikelNr. 10037

 

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Wilhelmshorst, Heideweg 9. 1000 Fotos, Dokumente 1934-1949

Konvolut aus dem Nachlass einer Familie, Wilhelmshorst bei Potsdam, 1934 bis 1949. Die Stücke hatten sich, in Kisten verpackt, in einem Münchner Keller jahrzehntelang erhalten. Zusammengefasst sind hier jene Quellen, die eine bestimmte Zeit im Leben der Familie beleuchten, es geht um Wilhelmshorst von 1934 bis 1949.

Enthalten sind Dokumente und ca. 1000 (!) Bilder (Photoalben, lose Photos und Dias).

Zur Familie:

Vater Otto B. wurde 1897 in Kaiserslautern geboren und kam um 1900 mit den Eltern nach Schramberg in Württemberg. Er starb 1959 in Frankfurt. Otto absolvierte von 1913 bis 1915 eine Banklehre in Schramberg. Nach seinem Kriegsdienst (er kämpfte von 1916 bis 1918 an der Westfront) verließ er die süddeutsche Heimat und zog 1920 nach Berlin, wo er bis 1925 in einer Bank arbeitete. Anschließend scheint er einen Tabak- und Pfeifenhandel betrieben zu haben. Irgendwann vor ca. 1930 (und bis zu seinem Tode 1959) arbeitete er dann als angestellter Vertreter für Photographica bei „Kranseder & Cie. Trockenplattenfabrik, München“ [„Kranz-Platten“, „Kranz-Filme“], und wohl selbständig für andere Hersteller.

Über die Mutter Margarethe (geb. Henkel) ist weniger bekannt. Sie wurde um 1900 in Berlin geboren und lernte Otto vor 1927 kennen. Die beiden heirateten 1932 und lebten denn zusammen (in wohl seiner Wohnung) in Berlin Tempelhof, Wittelsbacher Corso (1936 umbenannt in Boelckestraße), Nummer 132. 1934 verließen sie die Hauptstadt und zogen in ein neugebautes Haus in Wilhelmshorst (heute einem Stadtteil von Michendorf im Landkreis Potsdam-Mittelmark). Im Februar 1935 kam ihr gemeinsamer Sohn Jürgen zur Welt. Otto bereiste beruflich Nord-, Mittel- und Ostdeutschland und konnte offenbar nur wenig Zeit mit der Familie verbringen.

Als 1939 der Zweite Weltkrieg begann, wurde Otto schnell reaktiviert und war denn bis 1945 im Einsatz. 1941 wurde er Oberleutnant, ab ca. 1.1.1943 Hauptmann. Er diente in verschiedenen Kranken-Kraftwagen-Kompanien, 1942 bei der 23. ID., dazu wohl auch in 11. Panzer-Division.

Margarethe und Jürgen blieben in Wilhelmshorst und verlebten dort die Kriegsjahre. 1945 durchlebten Mutter und Sohn schreckliche Monate während der russischen Einnahme und späteren Besatzung des Ortes. 1945 aus der Kriegsgefangenschaft entlassen, kam Otto für nur wenige Tage zu Frau und Kind nach Wilhelmshorst. Als ihn die russische Militärverwaltung suchte, floh er nach Schramberg, wo bis 1950 verblieb. Erst 1949 zogen Margarethe und Jürgen ebenso nach Schramberg, 1950 dann ging die Familie nach Frankfurt am Main.

Andere Bildkonvolute aus dem Familiennachlass sind ebenso bei cassiodor.com gezeigt: Zu Berlin hier, zu Frankfurt hier und hier, zum Photographica-Vertreter hier, zu Schramberg hier.

Das Konvolut enthält ganz faszinierende Quellen zum Thema, besonders die Bilder sind teils äußerst spannend anzusehen!





Zum Ort:

W. war eine der zahlreichen nach 1900 um Berlin entstandenen Gartenstadt- und Landhauskolonien. Die Planungen begannen 1903, 1905 standen erste Häuser und ca. 50 Menschen lebten im Ort. 1924 zählte man 200 Seelen, davon 9 schulpflichtige Kinder. Ab 1925 weitete sich die Siedlungstätigkeit aus, um 1939 hatte der Ort 1500 Einwohnerinnen und Einwohner. Von 1925 bis 2005 bestand der (zuvor zu "Neu-Langerwisch" gehörende) Ort als eigenständige Gemeinde, heute ist er ein Stadtteil von Michendorf im Landkreis Potsdam-Mittelmark.

Die Familie erwarb 1934 das Grundstück Heideweg 9, im selben Sommer wurde das Haus gebaut, Eigentümerin war Ehefrau Gretl. Das Haus wurde vom Architekten Kurt Lange (geb. 1888, gest. 1965 in Wilhelmshorst) geplant. Bilder ähnlicher Häuser finden sich bei Paetau auf S. 78-79, etliche stehen unter Denkmalschutz, nicht aber die Anwesen Heidestraße.




Diverses:

- Tüchlein mit Aufdruck "Mein Wilhelmshorst, schöne Berge, grüner Forst, sei gegrüsst" (22x22cm, wohl 1982).
- Karl Foerster: Garten als Zauberschlüssel (Rowohlt 1935, Leinen mit Umschlag, 323 Seiten. Beiliegend Zeitungsartikel FAZ 23.5.2001; beiliegend Kopie eines Briefes des Sohnes Jürgen B., dat. 23.7.2001, an Marianne, die Tochter des Karl Foerster (1874-1970). Er schreibt: ".. ich habe .. einen Artikel über Karl Foerster in der FAZ gelesen.... Meine Eltern sind Anfang der dreißiger Jahre - als ich geplant war - aus Berlin weggezogen und haben in Wilhelmshorst ein Haus gebaut. Als kleines Kind habe ich oft den Namen Karl Foerster gehört, denn er war es, der unseren schönen Garten angelegt hatte. Meine Eltern waren durch ihn, wie man heute sagen würde, Rittersporn-Fans geworden. ... Meine Eltern waren ... glücklicher über den Garten als über das Haus selbst. ... "Der Garten als Zauberschlüssel" hat die Kriegs- und Nachkriegswirren überstanden und steht in meinem Bücherschrank.") Kurios: Der Umschlag des Exemplares ist arg mitgenommen und wurde mit Tesa geklebt - das Buch selbst sieht indes wenig benutzt aus!
- Paetau, Rainer: Hundert Jahre Wilhelmshorst 1907-2007, eine Waldsiedlung vor den Toren der Hauptstadt (Freunde und Förderer der Wilhelmshorst Ortsgeschichte e.V., W. 2007, quadrat kl.4°, fester Kartoneinband, 408 Seiten, etwas berieben, sonst gut. Auf Vorsatz einmontiert ein farbiger Abzug 9x13cm, gezeigt wohl das Haus der Familie. Beiliegend Stadtplan "1907-1982, 75 Jahre Wilhelmhorst“ (25x25cm).




Dokumente und Briefe (Gewicht ca. 2 Kilo):

- Mappe mit Rechnungen, Finanzamt etc.: Rechnung Adolf Bleich, (Potsdam, Seifengroßhandlung) über eine "Dreiwalzenmangel" 1936 / Georg Rose Elektromeister 1936 Staubsauger repariert / Bescheid über Einkommensteuer 1942 (beiliegend Blatt der Heeresstandortgebührenstelle Potsdam, es wird Diverses zur Lohnsteuer bescheinigt am 9.9.1943 ) / handschr. Zettel zum "Haus am Heideweg" (Aufstellung fürs Finanzamt, Summierung aller Ausgaben 5.5.1934 ("Grundstückspreis") bis 6.10.1936 ("Läufer für Treppe"), in 3 Ausfertigungen, die sich leicht unterscheiden.
- Aktenordner 1934-1936 u. 1945-1949, Rechnungen, Schriftwechsel (Sparkasse, Stadt, Finanzamt, Versicherung, Grundsteuer, Bürgersteuer, Notar Slany in Belzig, Fritz Otto Baugeschäft Michendorf, Paul Dähne Fuhrgeschäft, Architekt Rudolf Kohlbecker (der handschriftlich mit "Heil Hitler" grüßt), Bernhard Gleining Schornsteinfeger Beelitz, Postamt Potsdam, polizeiliche Anmeldung, Gartenstadt Wilhelmshorst GmbH (auch hier grüßt man mit "Heil Hitler" oder gar " Heil Hitler!"), Wasserwerke Potsdam..... Am Ende Pläne des Hauses.
- Akte 1934-1939, Kreissparkasse Zauch-Belzig, Hypotheken, Darlehen; Abschriften Notar etc. / Beiliegend Akt 1950-1952 (Briefe, Verwaltung des Hauses, ua Umzug von W. nach FFM, Rechnungen, Frachtbriefe etc.).
- Papphefter mit privaten Briefen und Schreiben des (verblüffend intelligenten) Sohnes an den Vater an der Front, der Ehefrau an Mann und Sohn ca. 1942-1949, von anderen.
- 3 Schreiben der Gretl, 1942-1945 (bis Kriegsende). 1942 schreibt sie dem Gatten und nennt den Sohn "Addi". 1942 und 1944 aber nennt sie ihn in Schreiben an die Schwiegermutter "Jürgen". Dazu 3 Schreiben an Margarethe, 1947-1949, 1949 berichtet Leni Schepler vom Umzug von Wilhelmshorst nach Frankfurt am Main.
- Kopie eines handschriftlichen Lebenslaufes des Sohnes, geschrieben am 5.10.1955 (also im Alter von 20 Jahren): "Am 22. Februar wurde ich in Potsdam geboren. .. Im April 1941 kam ich in die Volksschule .. Ich übersprang die dritte Klasse ... und kam im Juli 1944 auf die Erste Staatliche Oberschule für Jungen in Potsdam. Diese Schule wurde .. 1945 zerstört. Am 28. April [1945] besetzten russische Truppen unsere Siedlung. Ich ernährte mich und meine Mutter, die krank lag, Monate lang von Brennesseln und Königskerzenwurzeln. Rachitische Verbiegungen meiner Wirbelsäule und Rippen zeugen dafür [sic]. Mein Vater, der aus der Gefangenschaft zurück kehrte, floh nach zwei Tagen wieder, als der S.S.D. [? NKDW?] ihn ersuchte, zur Beantwortung einiger Fragen für kurze Zeit mitzukommen. Ebenfalls in dieser Zeit hörte ich meine Mutter schreien, als sie von Russen vergewaltigt wurde. Im Februar 1946 begann der Unterricht wieder. Ich besuchte die Deutsche Einheitsschule Wilhelmshorst bis zum 9.Juli 1949. .. Ich habe in dieser Schule die Grundbegriffe der englischen Grammatik, den Erlkönig, Teile aus der Glocke und das Ausfüllen von Wechseln gelernt. Am 26. August 1949 siedelten wir nach Schramberg in Württemberg über, wo ich meinen Vater, der mir bis dahin nur von wenigen Urlaubstagen her bekannt war, kennen lernte. ..." In der ebenso am 5.10.1955 verfassten 2. Version des Lebenslaufs schreibt er verkürzt: "... Diese Schule [in Potsdam] wurde im April 1945 bei einem Luftangriff zerstört. Dann hatte ich ein Jahr lang keinen Unterricht, weil keine Schule vorhanden war. In dieser Zeit erlebte ich scheußliche und grausame Dinge."
- Diverse Memorabilia: Türschild, Metall, ca. 4x9cm / kleiner metallener Bilderrahmen, 6x3.5cm, gezeigt 1x der Vater in Uniform / Stundenplan des Sohnes um 1942, in U-Boot-Vordruck "Kreissparkasse des Kreises Zauch-Belzig" / Eiserne Sparerklärung über Sonderzuwendungen des Otto B., beschäftigt bei Kranseder & Cie, München, Lindwurmstr. 131 (am 15.12.1942 soll die Weihnachtszuwendung 1942 angespart werden) / AK zu Silvester 1945 von der Tante an den Jürgen / Rechnung des Arztes Range in Wilhelmshorst für Behandlung im Mai 1949 wg. Skiunfall des Kindes (dat. 1950, als die Familie bereits im Westen lebte) / Fahrkarte des "Stahnsdorf-Expreß" (wohl eine Buslinie), um 1949, Preis in DM / Grußkarte 1986, mit mont. Foto der evangelischen Kirche Wilhelmshorst, Abs. aus W., beiliegend 3 Fotos des Elternhauses / Heft mit Schreibübungen, am Ende 1x dat. 12.3.1943, beiliegend zahlreiche Bildchen und Beilagen wohl von Schokolafentafeln ("Unser Bahnhof heißt Wilhelmshorst. Wir gehen zum Bahnhof und kaufen die Fahrkarten. Sie werden geknipst. .. Es saußt grade ein Güterzug mit Fronturlaubern vorbei. ...“) / Pupil's monthly, July 1946 bis und April 1947 (6 Hefte, Ed. Joachim Häusler Günter Stanienda, Berlin Hermsdorf).





Photos:

- Photoalbum 1 (kl.quer 8°, Ledereinband, mont. 100 s-w-Abzüge differenter Formate), 1934-1942. Gezeigt das Haus im Bau und fertggestellt, Familie bei Einzug (noch werden Fensterläden gestrichen), Blick aus dem Fenster, Wilhelmshorst, Familienglück, Innenaufnahmen der Zimmer des Hauses, Hund, Gemüsebeet, Garten, Fest mit Kindern und Jugendlichen, Erntedankfest Oktober 1941. Sohn Jürgen ist nicht zu sehen. Negative der Abzüge des Festes sind ebenso (s.u.) erhalten, es wurden fürs Album interessanterweise aber keinerlei Bilder verwendet, die NS-Symbole wie z.B. Hakenkreuzflaggen zeigen.

- Photoalbum 2 (quer gr.8°, Ledereinband, ca. 200 mont. s-w-Abzüge differenter Formate und ca. 15 lose beiliegend), 1935 - ca. 1937. Gezeigt ist immer der Sohn, anfangs 2x Mutter und Sohn im Krankenhaus Potsdam, dann immer Sohn, Eltern, Haus und Garten. Da der Vater beruflich viel unterwegs war, schoss auch die Mutter zahlreiche Photos. Am Anfang mont. Karte "Jürgen angekommen ... 22.2.1935".

- Photoalbum 3 (quer gr.8°, Ledereinband, ca. 140 mont. s-w-Abzüge differenter Formate und ca. 15 lose beiliegend), 1937 - 1938. Gezeigt immer der Sohn, im Haus, im Garten, auf der Straße, beim Geburtstag, mit Spielzeug, bei Fest, mit LKW "Milch & Sahne M. Willmann, Wilhelmshorst" (Foto des Lieferwagens Milchauto Kurt Willmann auch bei Paetau S. 148).








- Photoalbum 4 (quer gr.8°, Ledereinband, ca. 70 mont. s-w-Abzüge differenter Formate und ca. 15 lose beiliegend), ca. 1939 - 1944. Der 2. Teil des Albums ist handschr. datiert auf 1941-1944. Gezeigt immer der Sohn, bei Geburtstag im Haus, im Garten, bei Obsternte, auf Pferdewagen mit Uniformierten (dies wohl Schramberg 1942), im Schnee, im Garten im August 1943, "Sonntag vor Ostern 1944 auf dem Weg zum Teufelssee", als Schüler der "U II a".




- Photoalbum 5 (quer kl.8°, Leineneinband, 27 mont. und lose s-w-Abzüge differenter Formate), 1942. Das Album entstand während eines Heimaturlaubes des Vaters im Sommer 1942, Bad Widungen und Schramberg. Vater und Mutter sind sichtlich gezeichnet vom Kriegsgeschehen.

- Gruppenfoto, aufgenommen wohl im Sommer 1949, hinten von Hand im Mai 1957 beschriftet und datiert ("wahrscheinlich Sommer 1949"). Gezeigt 3 Erwachsene und 11 Jugendliche, u.a. Max Wildelau, Kurt Willmann, Siegfried Ackermann, Jürg Erkens, Jürgen B., Ottilie Johannsen, Hilde Lüttkopf, Brigitte Hammer [Kammer?], Ilse Krug, Christa Hofmann, Eva Vergerich. Bemerkenswert: Die 5 Knaben tragen das erlebte Grauen deutlich im Gesicht, während die 6 Mädchen sich um ein Lächeln bemühen.

- Repro eines Gruppenbildes um 1948, gezeigt Kinder und Jugendliche, hier ist das "Lächel-Geschlechter-Verhältnis" ausgewogen.

- Kiste mit ca. 400 s-w-Abzügen, alles Dubletten.

- Kiste mit Negativen und Dias: ca. 160 Farbdias ca. 1939-1941 (meist Kind, Garten, Familie, aber auch "NS-Inhalte", wie Knabe im Sand mit Swastika-Flagge, Reichssportfeld Berlin (?), marschierende Hitlerjungen und BDM-Maiden und Offiziere und NSDAP-Angehörige, Autobahn, NS-Umzug) / 4 Kleinbild-Filme (2 Filme zeigen ein NS-Fest (Bilder eines festlichen NS-Umzuges vom 1. Mai 1936 bei Paetau S. 35), 1x Schramberg u. Bad Wildungen 1942) / ca. 150-250 s-w-Negative 6x6 oder 6x9cm in Papierhüllen (darunter einige Bilder einer Wahl o.ä., man sieht junge und alte Männer in Parteiuniform, die in einem Saal Listen führen, rechts eine alte Dame mit Pelzkragen).




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