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Jahr: 1933
Bemerkung:
ArtikelNr. 2658

 

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Amtliches Plakat zur Reichstagswahl am 5.3.1933. Kreis- und Reichswahlvorschläge. Wahlkreis Oberbayern-Schwaben.

Schwarzer Druck auf gelblichem Papier, Format 83x63cm. Zustand: 6 Faltfalzen, Papier teils stärker vergilbt, Randläsuren, 4 Eckfehlstellen. Das Plakat hing einst an einer Wand und wurde (vor oder nach der Wahl?) etwas unachtsam entfernt, was die Eckfehlstellern erklärt. Das Papier, das die „Bayerische Druckerei & Verlagsanstalt GmbH, München“ verwendete, war nicht von erster Güte. Besonders die Bereiche, die beim gefalteten Plakat den obersten, seit 1933 dem Licht (auch nur eines Kellers) ausgesetzten Teil des Druckstücks bilden, sind betroffen. Sollte das Stück hellem Licht ausgesetzt sein, wird es sicherlich immer stärker vergilben.

Auf dem Plakat sind in 2 Spalten in Listen die zur Wahl stehenden Abgeordneten der antretenden Parteien abgedruckt.
Oben heißt es: „An entsprechender Stelle anzubringen! WAHL ZUM DEUTSCHEN REICHSTAG AM 5. MÄRZ 1933. Wahlkreis 24 (Oberbayern-Schwaben). Kreiswahlvorschläge. Gemäß § 62 der Reichsstimmordnung gebe ich nachstehend die vom Kreiswahlausschuß in der öffentlichen Sitzung vom 22. Februar 1933 als zulässig festgestellten KREISWAHLVORSCHLÄGE samt den Verbindungs- und Anschlußerklärungen in der entsprechenden Form bekannt.“ [Es folgt eine Liste von gesamt 111 Abgeordneten von 10 Parteien]. „München, den 23. Februar 1933, Der Kreiswahlleiter für den Wahlkreis 24 Oberbayern-Schwaben, Dr. Scharnagel, Oberbürgermeister“. Dann die 2. Liste: „Bekanntmachung. Entsprechend den Bestimmungen des § 62 der Reichsstimmordnung werden die vom Reichswahlausschuß in der öffentlichen Sitzung vom 21. Februar 1933 zugelassenen REICHSWAHLVORSCHLÄGE für die am 5. März 1933 stattfindenden Wahlen zum Reichstag hiermit veröffentlicht“ [Es folgt eine Liste von gesamt 233 Abgeordneten von 11 Parteien]. „München, den 23. Februar 1933, Der Kreiswahlleiter für den Wahlkreis 24 Oberbayern-Schwaben, Dr. Scharnagel, Oberbürgermeister“.

Die Parteien der Liste 2 in numerischer Folge: NSDAP („Reichswahlvorschlag Nr.1“, Liste 1 hieß es denn auf den Plakaten der Partei, 41 Abgeordnete), SPD (40 Abgeordnete), KPD (50), Zentrum (hier keine Nennungen, „nicht einschlägig“ heißt es lapidar), Kampffront Schwarz-Weiß-Rot (53), Bayerische Volkspartei (7), „Deutsche Volkspartei, Christlich-sozialer Volksdienst (Evangelische Bewegung), Deutsche Bauernpartei, Deutsch-Hannoversche Partei“ (42), „Württ. Bauern- und Weingärtnerbund (Landbund)“ („nicht einschlägig“). Liste 1: NSDAP (32), SPD (15), KPD (16), Kampffront (10), BVP (21), DVP (4), Christlich-Sozialer Volksdienst (3), Deutsche Staatspartei (4), „Bayerischer Bauern- und Mittelstandsbund (Deutsche Bauernpartei)“ (6).

Die Listen bringen die prominenten Politiker des damaligen Deutschland, mit Beruf und Wohnort. Die oberen Plätze beider Listen sind zumeist von denselben Personen besetzt, die folgenden Nennungen unterscheiden sich denn. Bei der NSDAP Hitler („Reichkanzler, München, Prinzregentenplatz 16/2“), Frick, Göring („Reichsminister, Berlin-Charlottenburg 9, Kaiserdamm 34“), Ritter von Epp, Max Amann („Verlagsdirektor [des Eher-Verlages] ...“), Rosenberg, Bouhler, Himmler („Dipl.-Landwirt, München, Äuß. Prinzregentenstr. 10“), Gottfried Feder, Darré, Paul Schultze-Naumburg und weitere. Bei der KPD finden sich Thälmann, Pieck, Ulbricht etc., bei der Kampffront von Papen („Stellvertreter des Reichskanzlers ...“), Franz Seldte, bei der SPD Wilhelm Hoegner (nur in Liste 1), Theodor Heuß (nur Liste 2).

Es handelt sich hier um ein bemerkenswertes Relikt der deutschen Zeitgeschichte, nämlich der zu Papier gebrachte schöne Schein der kraftlosen Demokratie! Hitler wurde am 30.1.1933 zum Reichskanzler ernannt, ließ am 21.2.1933 eine demokratische Wahl anberaumen - um am 28.2.1933 nach dem Reichstagsbrand zahlreiche Abgeordnete, die am 21.2. noch zugelassen waren, mit Hilfe der von Hindenburg unterzeichneten Notverordnung einsperren zu lassen. So ließ sich die Wahl am 5.3. denn ruhiger angehen, ihr Ergebnis war faktisch unbedeutend für den Fortgang der Geschichte. Bei Beschluss des die Diktatur besiegelnden Ermächtigungsgesetzes am 23.3.1933 waren die meisten demokratisch denkenden Abgeordneten entweder eingesperrt, oder sie hatten sich bereits in die innere Emigration zurückgezogen.
Ob das Plakat nach dem Reichtagsbrand entfernt wurde oder ob die nach dem Brand verfolgten Abgeordneten (z.B. der KPD) zwar wählbar aber nicht vertretungsberechtigt waren, ist mir unklar. Die abgedruckten Personenlisten sind bedrückend: Einerseits durch die saubere Übersicht über die sich zur Wahl stellenden NSDAP-Verbrecher oberen und unteren Stellenwertes (mit Wohnort und genauer Adresse!), andererseits durch die Nennung von Menschen, die nur wenige Tage nach dem Druck des Schriftstücks großem Leid oder gar dem Tod ins Auge blicken mussten.

(c) Ingo Hugger  2020 | livre@cassiodor.com