Vivarium
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> Tagebuch
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Jahr: |
1948 |
Bemerkung: |
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ArtikelNr. |
3701 |
E-Mail
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Handgeschriebenes Tagebuch einer Studentin aus München: Internationaler Studentenferienkurs 24.7.-15.8. 1948. Männer, Frauen, Liebe und Leidenschaft.
Quadrat 8°, Halbleinwandeinband, ca. 140 von Hand mit Tinte beschriebene Seiten (alle Seiten betextet). Das Buch umfasst gesamt ca. 200 Seiten, das letzte Viertel der Blätter ist mit pubertierenden bzw. verliebten Gedichten und Sentenzen gefüllt. Guter Zustand. Die Handschrift ist gut lesbar. Auf der ersten Seite der Titel des Buches: „Versuch einer genauen Darstellung des internationalen Studentenferienkurses in München. Geleitet von Studenten der Münchner TH u. finanziert von Amerikanern (Shaw). 24.7.48-15.8.48.“
Die spannende autobiographische Quelle entführt die Leser und Leserinnen in eine unerforschte und unbekannte Welt: Das Miteinander der Geschlechter im studentischen München der frühen Nachkriegszeit: Autorin Karin P. aus Garmisch-Partenkirchen küsst Walter, nachdem sich beide zuvor lange über Philosophie und Gott unterhalten hatten. Eigentlich aber liebt sie Stan (Stanley). Ob es bei Stan und Walter bleibt, ob Karin ihren Stan überhaupt küssen darf oder gar mit ihm schläft („das Verlangen Stan zu besitzen, für einen Tag, die letzte Stunde nur, nahm Überhand, ich wollte ihn endgültig vergessen, oder alles tun“), erfährt, wer diesen Text von der ersten zur letzten Seite liest - was dem Antiquar leider unmöglich ist.
Verraten sei lediglich, daß der Text auf einen Höhepunkt zusteuert - anlässlich des Kurs-Abschlussfestes in Seeshaupt will sich nämlich die Karin dem Stan endlich und vollkommen hingeben.
Zitiert sind folgend die Seiten 1, 2 und 3 des Textes: „Die Mensa der TH München, ein Barackenraum wurde zum Speisesaal und hat wohl nie so viele frohe zufriedene, satte Gesichter gesehen wie in der Zeit vom 24.7. bis zum 15.8. Dort trafen sich 189 Studenten, Vertreter der bayerischen Hochschulen, Studenten aus Amerika kommend, England, Dänemark, Holland u. der Schweiz.
Für mich begann dieser Ferienkurs erst am 24.7., während die anderen bereits am 23.7. ein gemeinsames Abendessen hatten u. anschliessend sich versuchten kennenzulernen. Fast zu pünktlich erschien ich am Samstag früh, ängstlich, scheu, sehr allein u. wie immer fürchtend alleine zu bleiben. Niemals war ich in der T.H. gewesen, so war alles fremd für mich. Zunächst eine Tür mit dem grossen „Herzlich Willkommen“, dann ein Tisch, an dem Frau Jordan sass um gegen Abgabe einer Essensmarke einen Bon auszugeben. Etwas fragend und sehr leise ging ich durch den fast leeren langgestreckten Raum, der voll mit gedeckten Tischen stand, setzte mich dann einem jungen Mann gegenüber, der es sehr eilig hatte, jedoch freundlich war und nahm voll Staunen das Frühstück ein. Weissbrot, Butter, Ei, Marmelade, Bohnenkaffee mit Milch und Zucker. Köstlich. Wieder Momente des Gefühls eines Nicht-Glaubbaren, Wunderbaren. Mit der Zeit füllte sich der Saal, die Plätze um mich wurden besetzt, lauter nette, junge Studenten, die sich vorstellten um dann wie alle gute Bekannte doch voller Rücksicht und Anstand Gespräche fanden, die nett, erheiternd und allgemein waren. So lernte ich Dieter Koppmann, den Fast-Studenten aus Hannoversch-München [Münden?] kennen, einen furchtbar netten, blonden Kriegsinvaliden, mit dem ich mich manches Mal noch gut verstehen sollte, bei ich mich aber leider nie des Gefühls erwehren konnte, dass er eine leise Ablehnung mir gegenüber hatte. Am Abend sah ich [ihn] da, glücklich, zufrieden, deutsch mit seiner Braut, die er auch als sie München wieder verliess, keinen Augenblick lang vergass. Er war ein ‘guter Deutscher’, wie John, der Amerikaner ihn charackterisierte, ehrlich, anständig, freundlich doch sehr empfindlich. Auch ‘Baschi’, ein Münchner Student ebenfalls, doch scheinbar nicht so ‘treu’ verheiratet lernte ich an jenem Morgen kennen, lustig, etwas oberflächlich und darum immer ängstlich ....“
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