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Jahr: verkauft
Bemerkung:
ArtikelNr. 6485

 

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Dessau, Tagebuch 1945-1946 eines Abteilungsleiters von Junkers / Ifa. Kriegsende, Demontage

Konvolut von 11 Umschlägen mit handschriftlichem Tagebuch 1945-1946 (2 Umschläge) und kritischen Kommentaren zum Zeitgeschehen 1950-1953 (9 Umschläge).

Die zur Ortgeschichte von Dessau und zur Geschichte des Junkers-Werkes ganz faszinierende Quelle fand sich in einem Nachlass in München. Es handelt sich um ein Tagebuch von April 1945 bis November 1946, das ein leitender Angestellter von Junkers (vielleicht der Prokurist Karl Karsch zu Alten, vielleicht ein Mann namens Ulrich Weinelt oder Linke) seiner älteren Tochter Jaja zukommen lassen wollte, die 1944-1945 in einem Lazarett am Chiemsee tätig war. Der Autor, dessen Name nicht erwähnt wird, scheint um 1890 geboren zu sein. Er war im Ersten Weltkrieg verwundet worden und lebte sicher seit 1938 (wahrscheinlich aber schon wesentlich länger) in Dessau. 1945 war er bei der Ifa in unklarer führender Büro-Position angestellt, vor 1945 hatte er bei daselbst als Abteilungsleiter (oder vielleicht als Prokurist) gearbeitet.

Äusserst spannend sind die Berichte der April- und Maitage 1945. Detailliert erzählt der Autor z.B. von Lebensmittelbesorgungen und Plünderungen (z.B. bei Junkers), vom Bombenkrieg, von Kämpfen in Dessau, von Plünderungen, vom Einmarsch der Amerikaner, Lebensmittelzuteilungen.
Auch zur Geschichte von Junkers ist die Quelle von hoher Bedeutung. Besetzung und Demontage des Werkes werden von einem Augenzeugen genau geschildert.
Es sei angemerkt, daß die wertvollen Beschreibungen oft unterbrochen sind durch emotionale Bemerkungen zum politischen Geschehen in der Welt und besonders in Deutschland.

Die Überlieferung ist nicht komplett erhalten. Vorhanden sind die Texte für die Zeiträume 15.4.1945 bis 12.4.1946 sowie 22.1.1950 bis 25.10.1953. Ab dem 25.10.1953 beendete der Autor offensichtlich seine Chronistentätigkeit, der letzte Umschlag ist nicht mehr korrekt betitelt.
1953 (und wohl ab 1950) berichtet der Chronist fast nicht mehr von Geschehnissen in Dessau, zumeist kommentiert er Pressepropaganda und Berichterstattung der Kommunisten und schildert voller Zorn die allgemeine Lage. Die Blätter ab 1950 ähneln mitunter stark künstlerischen Collagen. Mit großer Mühe hat der Chronist Zeitungsartikel ausgeschnitten und in seine Texte geklebt. Genau und detailreich werden die Geschehnisse und Folgen des 17. Juni 1953 dargestellt .

Der Antiquar hat die 33 Blätter des Umschlages I bis zum Einmarsch der Russen und stichprobenhaft einige Blätter des Umschlages II gelesen und unten interessante Stellen zitiert. Dazu las er einige Seiten des Umschlages XVII mit Berichten von 1953, hier fand sich jedoch nichts Nennenswertes zur Geschichte von Dessau.


Konvolut von 11 Umschlägen (quer 8°), gefüllt je mit ca. 100-200 doppelseitig beschriebenen Blatt mit handschriftlichen Aufzeichnungen. 1945-1946 mit lose inliegenden Auschnitten aus Zeitungen, Propagandabroschüren, Zeitungsseiten, 1950-1953 zahlreiche Blätter (u.a. adressierte Schreiben an „Adolf Linke`s Erben, Großkühnauer Weg 8“) mit montierten Zeitungsartikeln (die Artikel zumeist mit Anstreichungen und handschr. Annotationen) und auch losen Zeitungsartikeln. Lichtrandig, stark staubig, Umschläge teils mit Läsuren, sonst guter Zustand. Beiliegend: Dessauer Kalenderm bearbeitet im Stadtarchiv. Jgge. 1957 (hier mit Widmung des Chronisten an die „liebe Jaja“), 1958, 1959, 1960 (je ca. 70 Seiten, s-w-Abb., 8°, Okart., berieben, flerckig, kleine Läsuren).


Die Umschläge:
Band I, Blatt 1 – 201, 15.4.1945-9.4.1946.
Band II, Blatt 1 bis 102, 12.4.1946-26.11.1946 (hier beiliegend ein Versicherungsschein von 1922, ausgestellt auf den Prokuristen Karl Karsch zu Alten).
Band IX, Blatt 809 bis 865, 22.1.1950-16.5.1950 (hier wird der Prozeß Herwegen-Brunderl oft erwähnt).
Band X, 866-952, 16.5.1950-3.11.1950.
Band XI, 953-1024, 27.11.1950-24.3.1951.
Band XII, 1025-1099, 21.4.1951-12.10.1951.
Band XIII, 1100-1165, 11.11.1951-8.5.1952.
Band XIV, 1166-1241, 8.5.1951-27.7.1952.
Band XV, 1242-1315, 3.8.1952-18.1.1953.
Band XVI, 1316-1399, 25.1.1953-2.8.1953.
Band XVII, 1400-1451, 16.8.1953-25.10.1953.




Umschlag 1, „Band I, Angefangen 15. April 1945, Blatt 1 – CCI (1-201), abgeschlossen am 9. April 1946.“
Vorne ein lädiertes internes Korrespondenzblatt der „Junkers Flugzeug- und Motorenwerke AG, Flugzeugbau Stammwerk Dessau“ mit Vordrucken. Beigelegt dazu Zeitungsartikel von: Völkischer Beobachter vom 25.3.1945, „Der Verrat an Europa“ von Wilhelm Weiss sowie diverse andere Artikel aus Volksblatt und anderen Organen, Zeitungsseite aus Tägliche Rundschau (zu Reparationen, vom 29.3.1946) und Broschüre „Die Berliner Konferenz und unsere Aufgaben“ der KPD Sachsen (ca. April 1946, 31 Seiten, Text zum Potsdamer Abkommen).


„Dessau, 15. April 45. Meine liebe Jaja! Als ich am Mittwoch, dem 11. April frühmorgens ins Geschäft ging, sah ich zu meiner Überraschung an den beiden Panzersperren, die unsere Straße und den Hasenwinkel nach dem Lindenplatz abriegeln sollen, Militär, auch der Volkssturm war angetreten. Beim Weitergehen traf ich verschiedene Junkers-Leute, die mit Sack und Pack nach Hause gingen. Da hörte ich von Ihnen, daß Junkers die Arbeits eingestellt habe, in der Nacht wären Amerikaner bei Schönebeck über die Elbe gegangen …. Ich war wie erschlagen. Im Geschäft waren kaum noch Leute und ich packte nun auch meinen Kram zusammen. Verfolgte [?] aber zunächst nicht weiter, wir bekamen im Laufe des Tages 5x Fliegeralarm und 4x Kleinalarm. Zu Hause haben wir dann alles für den Fall vorgesehene ausgeführt, das Fluchtgepäck bereitgestellt und alles Wichtige in den Keller gebracht. Die Kaufleute gaben die Lebensmittel für 6 Wochen aus, überall mußte natürlich deswegen stundenlang angestanden werden. Die Mutti und Gäbel [?] schleppten, was sie kriegen konnten. … Vielen Leuten, die man ansprach, sogar alten Pg., war das Herz in die Hosentasche gerutscht. … Die Firma zahlte für zwei Monate das Gehalt voraus und beurlaubte uns alle. Im Geschäft wurden geheime Akten verbrannt und viele technische Unterlagen. Eine Unmenge geistiger Arbeit wurde vernichtet. …. Um 14.20 [wohl am 14.], ich war gerade im Geschäft, um mit Akten zu verbrennen, heulte die Sirene 5 Minuten lang, es war so weit, Feindalarm. Die Panzersperren wurden endgültig geschlossen. … Bei Junkers erfolgte eine Sprengung nach der anderen …. Am Sonnabend nachm. bekamen wir Klaviermusik zu hören, die ein Rundfunk-Pianist, der als Soldat die Sperre mit besetzt hielt, bei uns ausübte. Eben ist er wieder da. So vertreiben sie sich die Wartezeit und uns mit. Auch heute hat sich nichts besonderes ereignet. ……Das Schicksal unseres Vaterlandes geht uns allen nahe. Viele Leute sehen schwarz, noch gehören wir nicht dazu. Bevor wir uns von der Ausweglosigkeit unserer Sache nicht durch die Tatsachen überzeugen lassen müssen, solange glauben wir an ein für uns gutes Ende. Nun ist ja der Kriegsverbrecher No. 1 [Roosevelt] zur Hölle gefahren. Ein Zeichen der Vorsehung? Wir wollen es hoffen. … Der Schuft hat einen viel zu ruhigen Tod gehabt, der Hundertausende von Frauen und Kindern auf dem Gewissen hat…“

16.4.1945: „…. Da sind doch die selben beiden [„Russenweiber“, wie der Autor zuvor schrieb] wiedergekommen [die zuvor aus einem Keller Lebensmittel geraubt hatten] und glaubten, nun in Ruhe klauen zu können. Sie wollten wieder ausrücken, da rannte ich aus dem Hause und hielt sie mit fest und rief die Wache der Panzersperren. Da kamen auch gleich 2 Mann im Laufschritt und so bewegte sich der Zug zur Wache, von Hieben und Püffen begleitet. Der Fall lag klar: Plünderung eines ausgebombten Volksgenossen, und dazu am hellen Tage. Es wurde sogleich im nahen Walde das Urteil vollstreckt…“

22.4.1945: „Heute kann ich nun endlich meinen Bericht fortsetzen. …. Am 20. hatte der Lüthje die Hakenkreuz-Fahne aufgezogen, Adolf hatte doch Geburtstag. Sie hing aber bloß ½ Stde. Die Nachbarschaft kam angerannt, die Tiefflieger würden davon angelockt. …. Der Sonnabend, der 21.4. brachte dann die Entscheidung. Um die Panzersperre bei Junkers wurde noch gekämpft, dann fiel auch sie und der Weg in die Stadt war frei, es war gegen 3h nachmittags. Nach 5h machte ich mich auf, um mich persönlich von der Lage zu informieren. Ich ging die Hermann-Löns-Str. rauf bis fast zur Hermann-Göring-Str., da rollten gerade 2 amerikanische Panzer der Stadt zu. Aber immer noch knallte es dazwischen. Darauf ging ich die Fichtenbreite rauf, zu Junkers zu, bei Kaffee Rheinland standen 2 amerikanische Lastkraftwagen mit Soldaten. Zuletzt ging ich noch den Hasenwinkel rauf und kam fast bis zu Junkers, da bekam ich einen Warnschuß vor die Nase gesetzt, also kehrte ich um, ohne mich aber zu beeilen. An der Sperre bei der Hindenburgstraße wurde immer noch gekämpft. … Unsere Sperre bei Krömers [?] blieb unbehelligt, sie war immer noch von einer Handvoll Soldaten besetzt. In der Nacht zum 22. zogen diese dann ab. Am Morgen wurde sie von Volkssturm, in Civil, entfernt. … Die Folgen der Besetzung machen sich bereits bemerkbar. Es wurde ein Zettel von Haus zu Haus gereicht, der mit der Maschine geschrieben war aber keine Unterschrift zeigte. Darin stand, es seien sofort alle Waffen abzuliefern, sowie Feldstecher, Radio-Sende-Apparate, Photo-Apparate, und die Häuser, die keine amerikanischen Quartiere sind, haben eine weiße Fahne herauszuhängen, die Hakenkreuzfahnen sind abzuliefern. … Wieses, Wiesels und Schotzigs waren die ersten, die den weißen Lappen zum Fenster hinaushingen. Wir warten ab. Ab und zu knallt es noch immer in der Nähe. …“

24.4.1945: „Die Nacht war immer noch erfüllt von der Knallerei, heute Vormittag hat sie etwas nachgelassen. Ich habe den Schutt vom Bürgersteig entfernt. …. Eben war die erste Streife da, zwei Amerikaner mit dem Motorrad. … Sie suchten nach Radio-Sende-Apparaten. … Ich zeigte ihnen unsere Empfangs-Anlage. Da sah der eine Hitler’s Bild auf dem Schreibtisch. Darauf fragte er mich, ob ich Nazi wäre. ‚Natürlich bin ich Nazi, wie sind alle Nazis’ rief ich ihm zu. Es schien, als ob er das Bild mitnehmen wollte, der andere machte eine entsprechende Bewegung. Ich sagte ihm, das ist kein Sieg [?]. Da stellte er es wieder hin. Er machte dazu die Gebärde des Kopfabschneidens. Ich sagte ihm, wenn die USA einen solchen Mann gehabt hätte, wäre sie besser dran. Der eine meinte dann, Hitler habe in Frankreich Frauen und Kinder umgebracht. Da fuhr ich ihn an, rief ihm zu, das ist nicht wahr. Ihr mit eurem Bomben-Terror habt unsere Frauen und Kinder umgebracht, guckt es euch doch an, unsere zerstörten Häuser. … Zum Schluß bot er mir ein Päckchen Schokolade an. Ich habe kaltlächelnd abgewehrt. …“

25.4.1945: „Den ganzen gestrigen Tag hat es mit einigen Unterbrechungen immer noch in der Nähe geknallt. Die Nacht zu heute war dagegen fast ruhig. Der heutige Tag …. war nur ganz selten von Schüssen unterbrochen. Ich ging früh ins Werk. Wie sah es da aus! Als ich in mein Büro kam, war der Schrank und der Schreibtisch erbrochen, der Inhalt auf den Boden verteilt. … Dann meldete ich mich zur Nothilfe. Das Wasserwerk und das Kraftwerk sollten in Betrieb gesetzt werden, die Panzersperre bei Junkers entfernt werden u.a.m. Ich beteiligte mich an letzterer Arbeit., gab es da doch Holz von den dicken Baumstämmen in rauhen Mengen. …“

1.5.1945: „… Der erste Mai ist heute. Der Dr. Ley hat sich nicht gemeldet mit seinen öligen Phrasen, aber ob es dem deutschen Arbeiter jemals wieder so gut gehen wird, wie in den Jahren von 1933-39, das möchte ich ernstlich bezweifeln. …“

4.5.1945: „Der Hamburger Sender gab am 2. Mai bekannt, daß Adolf Hitler beim Kampf um die Reichskanzlei am 1. Mai gefallen ist! Es ist also eingetroffen, was ich geahnt habe. Ehre seinem Andenken! Seine Tragik war, daß er scheitern mußte, weil er fast die ganze Welt zum Gegner hatte. Daß er sie herausgefordert hat, ist nicht zu leugnen. … Der Kampf um Berlin ist zu Ende. … Im Junkers-Werk wird Inventur gemacht und die Räume wieder in benutzbaren Zustand gesetzt. Der Direktor Thiedemann steht vor der schwersten Aufgabe seines Lebens, nunmehr das Werk wieder in Gang zu bringen … Flugzeuge werden wir sicher keine mehr bauen dürfen.“

8.5.1945: „….. Paap, den Du ja auch kennst, soll sich vergiftet haben. Der Meckerer Mentzel, der dir ja auch bekannt ist, ist gerichtet worden; erst hat man ihn halbtot geschlagen, dann erschossen und zum Schluß im Georgium aufgehängt. ...“

13.6.1945: „... Am gestrigen Tage erschienen ein Engländer und ein Ami bei Junkers, die beide verfügten, daß die Fachbücherei sofort nach England zu überführen ist … Nur einige ausländische Zeitschriften haben sie uns da gelassen, sonst ist von der viele tausend Bände umfassenden Junkers-Bücherei nichts mehr da. … Die Tschechen sind in den 6 Jahren auch schlimm genug von unserer Gestapo-Regierung behandelt und geknechtet worden. … Das alles hat sie [die Nazis] aber nicht daran gehindert, sogenannte ‚schärfste Maßnahmen’ zu ergreifen, tausende Menschen hinzurichten und ganze Dörfer zu verbrennen und dann dem Erdboden gleich zu machen. Eine ewige Schande für uns Deutsche ist dieses Kapitel unserer Geschichte! …. Die Bewohner der Schillstraße sind wieder in ihre Häuser gezogen, der Ami haust in den Kasernen. Natürlich hat er bei seinem Wegzug manches mitgehen lassen, was ihm nicht gehört hat. …“

16.6.1945: „… Meine Arbeit in der Fachbücherei ist nun zu Ende, da ja Bücher nicht mehr da sind. Aber ich habe schon wieder einen neuen Posten, ich bin Ausgeber von Bettstellen und Schränken, die vom R.A.D. stammen und die an Ausgebombte leihweise ausgegeben werden. Auch hier haben Nicht-Parteigenossen und langjährige Werksangehörige den Vorrang. … Mein „Geschäfts-Lokal“ ist das Schützenhaus in Dessau-Alten. …“

20.6.1945: „… Gestern hat mir eine mitleidige Seele Tabak geschenkt. Er stammt aus Aken, wo bei den Kämpfen ein Elbkahn gesunken ist, der Tabak geladen hatte. Diesen hat man jetzt gehoben und und den Tabak getrocknet. …..“

29.6.1945: „Die Ifa [Junkers] scheint ihrer Auflösung entgegen zu gehen. Die Produktion von Spaten, Kochtöpfen und Bratpfannen ist von der amerikan. Militärregierung noch nicht genehmigt worden. Zindel, Thiedemann und Dr. Gründer, sowie 2 weitere sind nach Paris gebracht worden, wo sie wahrscheinlich ausgehorcht werden sollen. Aber schlecht scheint es ihnen dort nicht zu gehen, denn Zindel hat sich seine Frau nachkommen lassen (alles per Flugzeug). Allen Gefolgschaftsmitgliedern ist zum nächstmöglichen Termin gekündigt worden ….“

2.7.1945: „Heute ist der Iwan in Dessau eingezogen …. Den einziehenden Soldaten wurden von Frauen Blumensträuße zugeworfen. Es ist eine ewige Schande für uns. ...“

Umschlag 2, „Band II, Seite 1 bis 102, angefangen am 12. April 1946, abgeschlossen am 26. November 1946“. (Beiliegend neben Zeitungsseiten ein Versicherungsschein von 1922, ausgestellt auf den Prokuristen Karl Karsch zu Alten).

25.10.1946: „Der 22. Oktober war wieder ein schwarzer Tag für uns. Als ich frühmorgens um 7 aus dem Hause trat, wunderte ich mich, daß gegenüber dem Hause No 15 unserer Straße ein rus. Armee-Lastwagen mit Soldaten stand. Beim Weitergehen durch den Hasenwinkel bot sich dasselbe Bild. Vor dem Hause Nr. 27 standen aber 2 Lastwagen quer über der Straße. Rotarmisten trugen Wohnungs-Einrichtungsstücke etc. auf die Straße, um sie dann in den Wagen zu verstauen. Ich wußte, daß hier ein Junkers-Angestellter wohnte, von dem ich wußte, daß er früher Pg war. ... Als ich dann in die Kühnauerstr. kam, sah ich eine endlose Lastwagen-Kolonne dort halten, mit zahlreichen Rotarmisten drum herum. Auch im Werk, das ich dann betrat, hielt eine große Zahl von Wagen. Es war genau 7h. Da ging mir ein Licht auf. Der Iwan will das Werk ausräumen! Mit einem Bekannten kam ich auf meinem weiteren Wege durch das Werk an den bereits seit Monaten im Abbau befindlichen beiden Flugzeughallen vorbei [und] ins Gespräch. Auch er hatte viele Lastwagen vor Häusern stehen sehen, wo Junkers-Leute wohnten und deren Wohnungen ebenfalls ausgeräumt wurden. .. Mein Begleiter erzählte, daß auch viele Facharbeiter, Betriebs-Ingenieure, Meister, Facharbeiter, Dreher, Schlosser usw mitgenommen werden sollten. Im Büro angekommen, saß ich eine ganze Weile alleine da, keiner der Mitarbeiter fand sich ein bis auf einige weibliche Angestellte, die dann aufgeregt erzählten, daß fast alle Angehörigen der Konstruktions-Büros, soweit sie auf [sic] erstklassiges Fachwissen verfügten, weggeführt werden sollen. ... Keiner aber wußte Näheres zu sagen. .... Bisher bin ich von ihr [der Aktion] verschont worden. ... Wäre ich noch Abteilungsleiter gewesen, so könnte ich bestimmt nicht diesen Bericht an meinem Tisch im Büro schreiben. ....“

22.11.1946 [langer Bericht zur Demontage des Werkes]. „.. Am 16. November ist der gesamten Junkers-Werks-Belegschaft zum 31.XII.46 gekündigt worden ......“

(c) Ingo Hugger  2020 | livre@cassiodor.com